Irene Pardo hat in etwas mehr als einem Jahr über 800 Arten gefunden und im ArtenFinder dokumentiert. Am häufigsten ist sie in Berlin unterwegs, fast genauso gerne erkundet sie aber die Brandenburger Feuchtgebiete und Trockenrasen. Im Interview erzählt sie, warum gerade Berlin gut für die Naturbeobachtung geeignet ist, was ihr noch beim ArtenFinder fehlt und wieso die Käfer es ihr besonders angetan haben.
Irene, was hat dich überzeugt, beim ArtenFinder mitzumachen?
Schon seit längerer Zeit dokumentiere ich die lokale Pflanzenwelt. Auf einer kleinen Webseite habe ich die Fotos arrangiert, um einen klareren taxonomischen Überblick über die Arten zu bekommen. Irgendwann ist dabei die Kategorie „Besucher“ entstanden. Dort sind jene Insekten enthalten, die ich aus Zufall auf den Pflanzen aufgenommen und - nach und nach - als eigentliche Protagonisten meiner Spaziergänge empfunden habe.
Damals habe ich mir nur vage Ortsangaben meiner Funde notiert, zum Beispiel Stadtnamen oder Bezirke. Beim ArtenFinder können die exakten Standorte gespeichert werden, was wichtige Informationen über die Pflanzengesellschaften oder die Lebensweisen der Insekten vermittelt. Darüber hinaus werden die Meldungen beim ArtenFinder von Experten überprüft und korrigiert. Das ist ein großes Privileg und steigert das Lernpotenzial enorm.
Du meldest überwiegend Käfer. Was interessiert dich an dieser Artengruppe besonders?
Käfer sind mit ihrer Vielfalt und Anpassungsfähigkeit auf die verschiedensten Lebensräume faszinierend. Ihre Bestimmung ist eine große Herausforderung, die auch immer wieder mit der Begegnung überraschend hübscher Tiere belohnt wird. Ich habe mich dieses Jahr besonders auf Käfer konzentriert, einfach um mehr über diese Artengruppe lernen zu können.
Der Plattrüssler (Gasterocercus depressirostris) gehört zu den relativ wenigen Totholzbrütern in Mitteleuropa und ist auf austrocknende, besonnte Eichen angewiesen. Irene hat die in Berlin vom Aussterben bedroht Art im Tiergarten beim Nachleuchten entdeckt. Foto: Irene Pardo
Der Kurzrüsslige Distelrüssler (Larinus obtusus) ist 2025 neu in Berlin aufgetaucht und breitet sich schnell aus. Irene hat die Art am Gehrensee gefunden und als Erste im ArtenFinder Berlin hochgeladen. Foto: Irene Pardo
Die abgebildete Zweihöckrige Kreuzspinne (Gibbaranea bituberculata) sieht der Gehörnten Kreuzspinne zum Verwechseln ähnlich. Die helle, geschwungene Linie hinter den Höckern ist bei der letzteren aber in der Regel nicht ausgebildet. Foto: Irene Pardo
Wo in Berlin bist du am liebsten unterwegs?
Besonders interessant finde ich Feuchtgebiete, aber auch Ruderalflächen, Trockenrasen oder Blumenwiesen. In Berlin existieren viele verschiedene artenreiche Habitate nebeneinander, die man schnell erreichen kann. Und manchmal sind auch in den ökologisch langweiligsten Hinterhöfen unerwartet tolle Entdeckungen möglich.
Wurdest du schon mal angesprochen, warum du mit der Kamera auf dem Boden hockst?
Ja, Neugier ist sehr ansteckend. Es kommt aber auch nicht selten vor, dass ich selber andere Menschen anspreche. In Berlin sind viele Naturliebhaber unterwegs.
Was waren bisher deine Beobachtungshighlights in Berlin?
Das jährliche Balzen der Nachtigall! Jedes Frühjahr findet in der benachbarten Kleingartenkolonie ein großartiges Konzert statt. Die aufgeregten Klänge wirken in der Stille der Nacht sehr atmosphärisch und magisch. Ungefähr zur gleichen Zeit trauen sich die Fuchswelpen zum ersten Mal nach draußen. Viele Jahre hat eine Fähe im Hinterhof ihre Kleinen aufgezogen und in den ersten Morgenstunden konnte ich aus dem Versteck der Wohnung das spielerische Miteinander der Welpen mit der Fuchsmutter beobachten.
Du findest ziemlich häufig seltene Insektenarten. Wie machst du das?
Ich verbringe gerne viel Zeit in der Natur und achte dann auf kleine Dinge in meiner Umgebung. Ich denke, dass man viele seltene Arten findet, eben weil viele der Arten selten geworden sind. Citizen-Science-Projekte wie ArtenFinder gibt dieser Problematik eine breitere Öffentlichkeit.
Gibt es eine Art, die du unbedingt noch entdecken willst?
Neue Arten zu entdecken, ist für mich sehr aufregend. Aber eigentlich freue ich mich auch auf jene Arten, die ich schon kenne und schnell bestimmen kann. Bei diesen Arten kann ich dann ihre spezifischen Eigenschaften wie Farbabweichungen, Sexualdimorphismus, Paarungsverhalten oder aufgesuchte Futterpflanzen besser verinnerlichen.
Irene schreckt auch vor den kleinsten Arten nicht zurück. Olibrus corticalis gehört zu den Glattkäfern und ist nur 2-3 Millimeter groß. Foto: Irene Pardo
Den Stachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) gilt in Brandenburg als stark gefährdet. Irene hat ihn im Spreewald gefunden, dort ist die Art noch relativ gut vertreten. Foto: Irene Pardo
Brandenburg hält einige Arten bereit, die es in Berlin nicht (mehr) gibt. Zum Beispiel diese Kleine Zangenlibelle (Onychogomphus forcipatus), die Irene in der Nähe von Storkow gefunden hat. Foto: Irene Pardo
Was machst du, wenn du eine Art nicht kennst?
Das ist sehr oft der Fall. Es gibt viele Arten, die einige „Zwillingsbrüder“ haben und nicht einfach voneinander zu unterscheiden sind. Meine Bibliothek ist dafür zu allgemein. In Internet gibt es aber sehr spezifische, sehr gute Quellen. Wenn ich bei einer Kreatur etwas ratlos bin, benutze ich Apps wie iNaturalist, Obsidentify oder manchmal sogar die Bilderkennungsfunktion eines Browsers. Mit diesem Ergebnis kann man in der Literatur etwas zielgerichteter blättern und dann nach Verwechslungsarten suchen.
Was fehlt dir noch beim ArtenFinder?
Es wäre toll, wenn der ArtenFinder in allen Bundesländern aktiv wäre. Obwohl ich es mir frecherweise leiste, Arten aus mehreren Ecken Deutschlands zu melden. Dann wäre es sinnvoll, über eine flächendeckende Satellitendarstellung zu verfügen, nicht nur wie jetzt für Berlin und Brandenburg. Das würde die Eingabe der Beobachtungen wesentlich vereinfachen.
Warum sollte man beim ArtenFinder mitmachen? Was hat man davon?
Im ArtenFinder baut man eine Art wertvolles Feldtagebuch auf, das man immer wieder aufrufen kann. Man wird auf die lokale Präsenz von interessanten Arten aufmerksam gemacht. Dabei lernt man viele neue Arten kennen. Die öffentliche Dimension der Plattform ist ein Ansporn, sich tiefer mit der Artenbestimmung auseinander zu setzen. Die dokumentierten Beobachtungen werden von Menschen wahrgenommen, die oft einen persönlichen Bezug zur Gegend haben. So schafft man eine gemeinsame Erzählung, eine kleine lebendige Naturgeschichte unserer Stadt.
Und zum Schluss: Hast du einen Tipp für andere Naturbeobachter*innen?
Jeder hat sicherlich einen anderen Zugang zur Natur. Ich würde vielleicht allen nur eines wünschen: Viel Spaß im schönen Grünen!