Wiederentdeckte Arten, gerettete Kröten und fleischfressende Pflanzen: Das Jahr 2024 hielt so manches Highlight für die ArtenFinder*innen bereit. Hier finden Sie eine Auswahl aus fast 10.000 Meldungen im letzten Jahr. Vielen Dank an alle ArtenFinder*innen, die mit ihrem Engagement den Berliner Artenschutz unterstützen!
Chinesische Weichschildkröte in Berlin-Mitte
Hedi Schloddarick hat in diesem Jahr regelmäßig gebietsfremde Schildkröten in Berlin-Mitte dokumentiert. Am 24. Juni entdeckte sie am Plötzensee einen ungewöhnlich flachen Panzer. Weitere Sichtungen und bessere Fotos bestätigten die Vermutung – eine Chinesische Weichschildkröte (Pelodiscus sinensis). Die überwiegend karnivor lebende Art fällt besonders durch ihre schnorchelartige Schnauze und den flachen, lederartigen Panzer auf. Das beobachtete Tier wurde – so wie alle gebietsfremden Schildkröten in Berlin – von ihrem*r Besitzer*in ausgesetzt. Ob das Tier den Berliner Winter überlebt bleibt abzuwarten.
Wiedersehen an der Bushaltestelle
Der Eichen-Zackenrandspanner (Ennomos quercinaria) wurde das letzte Mal 1986 in Berlin beim Müggelsee beobachtet und galt damit in der Hauptstadt als verschollen. In diesem Jahr hat die Stadtnatur-Rangerin Ina Wollstadt ihn an einer Bushaltestelle im Grunewald wiederentdeckt. Ihre Vermutung: Der Falter war nachts durch die Beleuchtung angelockt worden. Generell kann die Art leicht mit E. erosaria verwechselt werden. In diesem Fall konnte der Falter aber durch mehrere Merkmale (Linienverlauf, Linienstärke, dunkle Bestäubung am Vorderflügelrand, zweifarbige Füße) eindeutig bestimmt werden.
Fleischfressende Pflanze im Jungfernheideteich
Am 9. Juli hat Anna Wziatek die Blüten des Verkannten Wasserschlauchs (Utricularia australis) im Jungfernheideteich entdeckt. Diese wurzellose Wasserpflanze lebt submers, also untergetaucht, und ist üblicherweise kaum zu sehen. Von Juni bis August kann man mit etwas Glück aber die gelben Blüten aus dem Wasser ragen sehen. Die Art gehört zu den fleischfressenden Pflanzen: An den Enden ihrer untergetauchten Pflanzensprosse sitzen Fangbläschen, in denen ein starker Unterdrock herrscht. Berührt ein Wasserfloh, eine Alge oder ein kleines Insekt diese Blase, öffnet sich blitzschnell eine Klappe und das einströmende Wasser zieht die Beute mit sich. Sie wird anschließend verdaut.
Zuletzt vor 100 Jahren gesehen
Am 21. September fand das 1. ArtenFinder-Berlin-Treffen im Ökowerk statt. Dort tauschten sich Nutzer*innen und Expert*innen über das Projekt und die Naturbeobachtung aus und gingen im und ums Ökowerk auf Artensuche. Herbert Winkelmann, Rüsselkäfer- und Wanzenprofi, zog es noch ins nahegelegene NSG Sandgrube im Jagen 86. Dort fand er eine Art, die seit 100 Jahren nicht mehr in Berlin gesehen worden war, den Glänzendschwarzen Furchenstirn-Prachtkäfer (Aphanisticus emarginatus). Mit nur drei Millimetern ist er zweifellos ein kleinerer Vertreter der Prachtkäfer-Familie, zu der auch acht Zentimeter große Arten gehören. Diese Meldung zeigt: Auch am Ende der Beobachtungssaison – falls es sowas überhaupt gibt – kann man noch besondere Funde machen!
Kleiner Bock, große Überraschung
In der Berliner Roten Liste der Bockkäfer (2017) hatte Jens Esser es schon angekündigt: „Gezielte Nachsuchen [nach dem Kleinen Heldbock] besonders in den Randbereichen des Stadtgebietes könnten zum Wiederfund führen.“ Am 25. Mai hat der Stadtnatur-Ranger Lutz Kröner es dann geschafft und ein Exemplar von Cerambyx scopolii in der Wartenberger Feldmark im Nordosten Berlins gefunden. Ein erneuter Blick in die Daten zeigte aber eine Überraschung: Schon 2018 war die Art im Botanischen Garten gemeldet worden – ganz unbemerkt und ohne viel Aufsehen. Altdaten können also noch so manchen Überraschungsfund bereithalten.
Eine Trümmerpalme zur Zeit der Dinosaurier
Über diesen Fund von Hubert Pieper haben wir uns im Team besonders gefreut. Die Artenreferenzliste wäre beinahe um einen prähistorischen Eintrag erweitert worden. Doch dann fiel uns der Götterbaum zu den Füßen des Dinos aus dem Berliner Tierpark auf. Der Götterbaum ist vor allem im Zentrum Berlin weit verbreitet, zur Stadtgrenze hin nimmt seine Häufigkeit aber ab. Forschende vermuten einen Temperaturgradienten als Ursache.
Besondere Verantwortung
Die Stadtnatur-Rangerin Joanna Laß hat es zusammen mit dem Schüler-Praktikanten Jonah Mechelhoff geschafft, den Kiesbank-Grashüpfer (Chorthippus pullus) wieder in den Baumbergen nachzuweisen. Der Grashüpfer lebt auf den Kiesbänken von Alpenflüssen und sandigen Heideflächen. In Berlin kommt er nur noch in den Baumbergen vor, in der nahen Jungfernheide wurde er seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen oder gehört. Da die Art aber nicht nur in der Hauptstadt sondern auch deutschlandweit vom Aussterben bedroht ist, trägt Berlin eine besondere Verantwortung für ihren Erhalt.
Seltener Bestäuber im Naturgarten
Am 30. Juni hat Marleen Mikußies auf dem Gelände des Ökowerks eine besonders seltene Schwebfliege beobachtet: Eristalis oestracea. Die letzten Berliner Nachweise stammen aus Pankow (2018), Reinickendorf (2019) und Spandau (2020). Die Art ist in der Hauptstadt vom Aussterben bedroht und stark rückläufig. Die Gründe: Absenkung des Grundwasserspiegels, Trockenlegung von Feuchtwiesen und der Verlust von Moorflächen. Die letzten Fundorte zeichneten sich immer durch ein vielfältiges Blütenangebot aus. Es kann sich also lohnen, im eigenen Naturgarten nach der auffälligen Art zu suchen. Wo und wie die Larven leben, konnte noch nicht beobachtet werden.
Versteckter Waldbewohner in der Stadt
Der Baummarder (Martes martes) lebt in Wäldern und ist – anders als der Steinmarder – nicht dafür bekannt in menschliche Siedlungen vorzudringen. Trotzdem konnte der nachtaktive Marder in diesem Jahr vermehrt in einzelnen Berliner Wäldern und innerstädtischen Friedhöfen nachgewiesen werden: Fast die Hälfte der 13 Meldungen im ArtenFinder Berlin stammen aus 2024. Es existieren nicht genügend Daten, um eine Gefährdung des Baummarders abschätzen zu können. Jede Zufallsbeobachtung hilft uns daher weiter.
Auf die Pflege kommt es an
In 2023 hatte Norbert Kenntner den Mädesüß-Perlmutterfalter (Brenthis ino) am Tegeler Fließ nach 12 Jahren wiederentdeckt. Und auch in diesem Jahr konnte er dort wieder aufgespürt werden, dieses Mal von Lutz Krause. Die Raupen des Falters sind auf das Echte Mädesüß (Filipendula ulmaria) als Nahrungspflanze angewiesen, dessen Bestände am besten mehr als ein Jahr nicht gemäht worden sein sollten. Beste Voraussetzungen dafür bieten partielle Dauerbrachen und Hochstaudenfluren, aus denen hochkommende Gehölze immer wieder entfernt werden. Mit der richtigen Pflege könnte das Vorkommen dieses seltenen Falters in Berlin also gesichert werden.
Wechselkröten aus Gullis gerettet
In Berlin existieren noch vier Vorkommen der früher weit verbreiteten Wechselkröte (Bufotes viridis), eines davon befindet sich auf dem Gelände des Cleantech Business Parks. Die Nord- und Südfläche der Stadtbrache wird durch die Clara-Immerwahr-Straße geteilt, ein gefährliches Hindernis für wandernde Amphibien. Am 26. Juni retteten Caroline Thiem und Leon Däublin zwei junge Wechselkröten aus Gullis am Straßenrand. Nach einer ersten Meldung in 2017 wurden in diesem Jahr vermehrt Tiere bei der Querung der Straße beobachtet. Das Wechselkröten-Vorkommen des Cleantech Business Parks ist durch die geplante Bebauung des Geländes bedroht.
Bedrohte Spinne in der Wuhlheide
Am 24. Juni fand Sophie Beck in der Wuhlheide (Treptow-Köpenick) eine weibliche Heideradspinne (Neoscona adianta). Die Art ist in Berlin extrem selten und vom Aussterben bedroht. Die Wuhlheide verfügt über vielfältige Lebensräume (Trockenrasen, Kleingewässer, Eichenwälder) und beherbergt damit auch eine Vielzahl seltener und gefährdeter Arten. Dazu gehören zum Beispiel die Zartschrecke, der Komma-Dickkopffalter und die Haubenlerche, die alle in Berlin vom Aussterben bedroht sind und nur noch an wenigen Orten vorkommen.
Fortpflanzungserfolg bei der Grünen Mosaikjungfer
Romain Clément hat in diesem Jahr die nach FFH-Richtlinie geschützte Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) an zwei Standorten beobachtet. Und es kommt noch besser: Er hat Exuvien, also die Überreste der Larven, gefunden und damit gezeigt, dass die Art sich erfolgreich fortpflanzt. Die Larven der sehr seltenen Libelle sind auf das Vorkommen der Krebsschere angewiesen. Diese schwimmende Wasserpflanze reagiert empfindlich auf Verschmutzungen und Schwankungen des Wasserstands und ist in Berlin vom Aussterben bedroht. Die Folge: Auch die Grüne Mosaikjungfer ist stark gefährdet. Wir drücken daher beiden Arten die Daumen und freuen uns über die Meldung von Vorkommen der Krebsschere.
Eine Art des Biotopverbunds
Anfang Mai hat Kaija Pikarinen im Botanischen Garten zwei „unbekannte Hautflügler“ bei der Paarung beobachtet. Anhand des Fotos konnte Frederik Rothe die Tiere als Felsen-Mauerbienen (Osmia mustelina) identifizieren. Die Art ist in Berlin stark gefährdet und gehört zu den 34 Zielarten des Berliner Biotopverbunds. Diese Zielarten sind besonders auf den Erhalt bestimmter Lebensräume angewiesen und sollen eine „Mitnahmeeffekt“ für andere Arten mit ähnlichen Ansprüchen entwickeln. Ihr Schutz ist also besonders wichtig, um weiteren Arten zu helfen.